Ein Feenkind in unserer Mitte

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oder: Wir steigern alle mal unsere Sphären *g*

Amy:

Je mehr ich von Fjuna erfahre, desto unheimlicher wird sie mir. Wenn sie nicht gleichzeitig ein so netter Mensch wäre, hätte ich Angst. Nach und nach öffnen sich weitere Türen zu ihrem Gedächtnis und die Abgründe ihres Wesens werden immer tiefer, die Wege ihres Denkens verschlungener und verwirrender. Wie viel weiß sie eigentlich, wie viel wird ihr selbst erst stückweise klar? Ist das Gedächtnisschwund oder will sie uns einfach nicht alles verraten, sondern immer nur das, was gerade nicht anders geht? Aber wer bin ich, jemandem vorzuwerfen, dass er seine Geheimnisse hat? Obwohl meine Geheimnisse ein Fliegenschiss sind gegen das, was Fjuna enthüllt. Jetzt weiß ich, dass sie nicht mal ein Mensch ist...

Nach dieser schmutzigen Sache mit dem Gherkin wollte ich erst mal keine Magier mehr sehen ud hören und habe mich in Arbeit vergraben. Meine Orchesterkollegen werden wahrscheinlich beruhigt gewesen sein, dass ich mich wieder "normal" verhalte, denn seit die Magie wieder in mein Leben getreten ist, habe ich mich für meine Verhältnisse nicht besonders professionell verhalten. Vielleicht ist es aber auch gar nicht aufgefallen - so oft sprechen wir ja auch nicht über Persönliches. Eigentlich gar nicht. Nun ja, aber es stand immer noch das Privatkonzert bei dieser Kunsthändlerin Louise Goldworthy an. Diese exzentrische Person, die meinte, ich könne das spielen, was mir am meisten Freude bereitet. Als dann die handschriftliche Einladung kam mit der ausdrücklichen Aufforderung, Begleiter mitzubringen, die "open minded" seien, schrillten in meinm überstrapazierten Hirn gleich die Alarmglocken, was das schon wieder bedeuten sollte. Spontan beschloss ich am Abend vor dem Konzert, Cassie und Fjuna dazu zu bitten. Es ist seit der Grunderneuerung durch Käptn Harris sehr viel angenehmer, mit Cassies Bus zu fahren (ständige Angst um Leib und Leben verdirbt einem doch den Spaß), aber ihre Hupe klingt nicht einfach wie ein Schiffshorn, sondern wie eine ganze Schiffsflotte! Die Brüllpolypen scheinen eine Art Geisterwesen zu sein und langweilen sich etwas im Aquarium. Sagt Cassie. Seit wann kann sie Gedanken von... mh.. Tieren? lesen?

Auf dem Landsitz der Goldwothys verstärkte sich das Gefühl, das irgendwas nicht normal war. Ich bekomme weiß Gott nicht bei jedem Auftritt ein Gästebett zum Ausruhen angeboten. Warum sollte jemand meinen, das ich das nach einem Eineinhalb-Stunden-Programm brauche? Und dass ich in dem Spiegel, der in dem Raum hing, seltsam leuchtete, trug nicht zu meiner Beruhigung bei. Das Publikum war erstaunlich gemischt, sowohl im Alter als auch im Aussehen - aber Louise Goldworthy behandelten alle wie eine Königin. Und warum musste sie das Publikum ermahnen, "die Gäste in Ruhe zu lassen"? In Alt-Gälisch, wie Fjuna später sagte! Nun, selten habe ich erlebt, dass Zuhörer so mit meiner Musik mitgegangen sind, doch anfangs war ich auf der Hut und versuchte vorsichtig, die Leute abzutasten. Ein junges Mädchen hatte das Gefühl, meine Musik sei erfrischend wie ein Glas kaltes Wasser an einem heißen Tag. Sogen mir diese Wesen Energie ab? Vampire? Aber ich fühlte mich im Gegenteil fast euphorisch, irgendwann verlor ich mich auch in der Musik, die ich assoziativ aneinander reihte. Plötzlich war es dunkel und fünf Stunden vorbei - dabei hatte ich nicht mehr Stücke gespielt als bei einem gewöhnlichen Auftritt! Louise Goldworthy überreichte mir als Dankeschön noch eine kostbar wirkende Uhr, doch über ihre Schulter hinweg sah ich Fjuna energisch mit dem Kopf schütteln, bedankte mich, legte sie aber nicht an. Plötzlich holte mich die Erschöpfung ein. Wahrscheinlich ließ ich es deshalb zu, dass der Butler Fjuna irgendwohin brachte...

Als Fjuna wieder auftauchte, war sie noch blasser als sonst und bestand ungewöhnlich energisch darauf, dass wir sofort aufbrachen. Noch nie habe ich sie so erlebt. Und die Geschichte, die sie uns im Bus zusammenstückelte, klang einfach nur fantastisch! Fjuna, unsere "Peace-Schwester", hatte in einem Krieg gekämpft? Ich gebe es jetzt nur so wieder, wie ich es verstanden habe: Fjunas Eltern waren Feen, doch irgendwie ist sie selbst keine, wie das auch immer funktioniert. In den 60ern kehrte der Feen-Adel, der vor Jahrhunderten die Welt verlassen hatte, zurück und glaubte, die Hiergebliebenen würden ihnen weiterhin so dienen wie früher, als wären sie nicht lange Zeit bestens alleine klar gekommen. Natürlich kam es zu einer Rebellion. Das war es, worüber sich Fjuna mit ihrem Meister Toomstone zerstritt: Sie wollte ihrer Familie in dem Kampf beistehen, auch wenn sie streng genommen als Magierin nichts damit zu tun hatte. Und nun der Höhepunkt: Die Goldworthys gehören zu dem Adel, den Fjuna bekämpfte. Kein Wunder, dass sie so schnell wie möglich aus dem Haus ihrer alten Feinde flüchten wollte! Erinnerungen, wie der Kampf ausging, hat Fjuna keine, aber sie vermutet, dass ihre Eltern vernichtet wurden. Wir haben mehr gemeinsam, als ich bisher dachte... Zumindest sagt Fjuna, dass sie sich an nichts sonst mehr erinnert. Also hat Toomstone gar nicht die unartige Schülerin bestraft? Wurde sie von einer Fee im Kampf besiegt und verbannt, bis sie jetzt wieder in London auftauchte, 40 Jahre später?

Fjuna ist immer diejenige, die mich korrigiert, wenn ich von "Zufall" spreche, aber jetzt war ich geneigt, an Schicksal zu glauben, dass wir drei heute ausgerechnet auf Golsworthys Anwesen gelandet waren. Oder war es ein von langer Hand eingefädelter Plan? Doch ein Nachspüren, mit welcher Absicht jemand "A. Zimmerman" in die Uhr eingravierte, zeiget nur, dass sie dachten, es wäre ein würdiges Geschenk für mich. Ich kam also zu dem Schluss, dass es ungefährlich war, die Uhr anzulegen. Nur - woher kennen die Feen meinen echten Namen? Er ist zwar kein Geheimnis, aber es braucht doch etwas Recherchearbeit, ihn zu erfahren. Magier, Technokraten, Werwölfe - und jetzt auch noch Feen! Mir bleibt nichts erspart. Dass die Uhr nur dann läuft - und das sehr exakt -, wenn ich darauf schaue, macht die Sache nicht einfacher. Wir beschlossen, in der Bibliothek des Gildehauses nachzusehen, was wir über den Feenkrieg finden konnten, außerdem flatterte uns auch noch ein Auftrag des Russen ins Haus, mit dem wir uns für die Hilfe bei Nadjas Befreiung revangieren sollten (Willkommen in der (Paradox-) Matrix).

Es war wirklich nur eine Frage der Zeit, bis ich Jayamuna in der Society über den Weg laufen würde. Als ich ihre Zither im Gang hörte, war ich drauf und dran, umzudrehen. Aber das wäre albern gewesen. Es ist schon über ein Jahr her, dass wir getrennte Wege gingen, und wenn ich offiziell noch den Status Schülerin habe, war ich entschlossen, ihr auf Augenhöhe zu begegnen. Leider kam ich nicht so leicht mit einem grüßenden Nicken davon. In der Bibliothek versuchten wir herauszufinden, ob diese Oxana, der wir im Auftrag des Russen ein Gerät liefern sollen, etwas mit der Gilde zu tun hat. Als wir über sie keinen Eintrag fanden, betrieb ich etwas "Ego-Googeln", um herauszufinden, wie wichtig man als Gildenmitglied sein musste, um hier zu landen. Ich habe tatsächlich eine Erwähnung gefunden in diesen ganzen Büchern - allerdings nur als Hinterbliebene meiner Eltern. Das hat mich etwas aus der Bahn geworfen, und gerade da betrat Jayamuna den Raum - perfektes Timing!

Es hat mich etwas erschreckt zu sehen, dass meine alte Lehrerin offenbar große Probleme mit dem Paradox hat und sich deshalb aus der Alltagspolitik des Gildehauses zurückzog. Meine Uhr fing prompt an, in ihrer Gegenwart rückwärts zu laufen! Natürlich war die Frau hauptsächlich daran interessiert, wie ich "voran komme". Es war eine große Enttäuschung für sie zu merken, dass ich nur so viel Magie lernen wollte, um sie beherrschaen zu können, aber sie nicht anzuwenden gedachte. Oder auch nicht. Nach dem, was David vor ein paar Tagen sagte, hat sie unseren Bruch voraus gesehen... Der Gedanke macht mich wütend (bin ich ihr Spielball?) und beruhigt mich gleichzeitig - denn vielleicht sind meine Erfahrungen doch mal zu etwas nütze. Nun, Jayamuna scheint klar zu sein, dass wir in diesem Leben nicht mehr auf eine Wellenlänge kommen. Sie bot mir an, jemanden zu finden, der mir im Umgang mit der Feen-Uhr helfen könnte. Ich weiß, das klingt wie ein trotziges Kind, aber ich wollte nicht gleich zusagen und ihr offenbaren, dass ich mich wieder mehr mit Magie beschäftige und sie letztlich recht behält.

Die Anwesenheit der Meisterin irritierte mich derart, dass ich Cassie und Fjuna einen Impuls gab vorzuschlagen, in die Teeküche zu gehen und dort mit unserer Arbeit weiterzumachen. Aber unsere Ausbeute an Feen-Geschichten war sehr dürftig. Irgendwas mit dem Mond und dass es vor 1969 schon 111 Landungen dort gab und dass der Feen-Adel zwar irgendwie gewonnen hat, aber nicht so gut mit den banalen Menschen zusammenleben kann. Whatever - es ist Fjunas Sache, wie sie weiter vorgehen will oder wie sie ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen kann. Ich werde versuchen, ihr beizustehen. Denn es stimmt nicht, was David von ihr vermutet. Fjuna ist vielleicht nicht übermäßig an normalen Menschen interessiert, aber sie würde auch nie zulassen, dass sie in dem Krieg um ein Paradigma geopfert werden, wie es einige der Magier in Kauf nehmen würden. Fee hin oder her.


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