Geister in der Autogrammstunde

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Amy:

Ich hasse diese Autogrammstunden-Nummer sowieso. Klar bin ich stolz auf meine erste CD und ich freue mich auch, wenn mir Leute sagen, dass sie sie mögen. Aber es ist einfach dumm zu erwarten, dass mehr als eine Handvoll Leute kommt, um sich von jemandem aus der Klassik-Abteilung Autogramme geben zu lassen. Von einer Solo-Klarinettistin! Alles unter Gioro Feidmann kann sich dabei nur lächerlich machen! Was haben sich diese Typen vom Virgin Megastore nur dabei gedacht? Was hat sich Cem dabei gedacht, mir das anzutun? Als Agent wäre es sein Job, solchen Unsinn von mir fern zu halten! Den ganzen Nachmittag sitze ich da rum wie bestellt und nicht abgeholt, während alle möglichen Kids durch die Musikabteilung schlendern und mir seltsame Blicke zu werfen, mir und meinen Autogrammkarten. Und ich lächle mechanisch und versuche Cem mit Blicken zu töten, der sich wohlweißlich von mir fern hält. Sowieso dieser Laden - die ganze Zeit hat es mir im Nacken gekribbelt, und ich musste dem Drang widerstehen, mich ständig umzudrehen um zu sehen, ob da jemand hinter mir steht. Jemand, der mich nicht hier haben will...

Als diese beiden Mädels reingekommnen und zielstrebig auf mich zugegangen sind, war ich überrascht, denn beide sahen nicht gerade wie Klassik-Fans aus. Zu jung einmal und vom Outfit her auch keine Musikstudenten. Man soll zwar keine Vorurteile haben, aber sie werden ja leider ständig bestätigt. Die beiden gehörten in die Kategorie Spät-Hippie, Mittelschichts-Wohlstand, der auf natürliches Leben macht, bis das Studium vorbei ist und die Spielwiese geräumt werden muss. Dachte ich zumindest. Doch ich war irgendwie gleich hellwach, auch als sich herausstellte, dass sie gar nicht nach mir suchten. Das wasserstoffblonde Mädchen mit den seltsamen Augen bewegte sich wie eine Schlafwandlerin - am hellichsten Tag schon zugedröhnt, oder was? - und schenkte mir kaum Beachtung, fixierte nur die Stelle hinter mir. Ich hätte wissen müssen, dass jetzt alles den Bach runtergeht... Dann überschlägt sich alles: Ich merke, wie jemand einen Spruch wirkt, und die beiden Weirdoos reden irgendwas von Geistern, und dann greift mich jemand mit Magie an, ich blocke, natürlich total unvorbereitet, zu weit entfernt von dem tranceähnlichen Zustand, aus dem ich meine Kraft ziehe, zu lange nicht geübt - und dann ist da eine Stimme in meinem Kopf. "Wer bist du?", fragt sie, und ich will ihn nur da raus haben, was fällt dem ein? Falle rückwärts mit dem Stuhl um, an der anderen Ecke des Raums stürzt ein CD-Stapel zusammen und ein Typ rennt weg. Cem hat natürlich nur meinen Sturz mitgekriegt und kommt angerannt, der Heuchler, aber ich will nur hier raus! Scheiß auf Autogrammstunde, das darf Cem mit dem Store-Manager klären!

Ich will wissen, warum diese beiden Mädchen ausgerechnet hierher kommen und mit ihnen all das, was ich in den vergangenen Monaten nur noch hinter mir lassen wollte! Ich hatte es ganz gut geschafft, von der Bildfläche der Gilde zu verschwinden, mein eigenes Leben zu leben. Ich möchte kein Teil dieses heimlichen Krieges sein, der meine Eltern das Leben gekostet hat! An manchen Tagen gelingt es mir zu vergessen, welche Kräfte in mir schlummern. Dann ist Musik nur Musik. Und jetzt das! Irgendein Fremder hat mich als Magierin enttarnt und mich angegriffen! Gut, ich muss Cassie und Fjuna (wie auch immer ihr Name geschrieben wird) zugute halten, dass sie nicht vorhatten, mir Ärger zu machen. Meine Güte, sie kennen mich nicht mal, zumindest, was ihren Musikgeschmack betrifft, hatte ich also recht. Vor dem Laden habe ich mir in Fjunas Kopf die Geister angesehen, denen sie bis in den Laden gefolgt ist. Es hätte mich ja nicht gewundert, dass sie Gestalten sieht - schon die paar Sekunden in ihren Gedanken haben mich fast besoffen gemacht. Anscheinend verstärkt sie ihre Magie mit berauschenden Pilzen und auch sonst scheint sie ziemlich... abgedriftet. Sie scheint mich erst dann richtig als Person wahrzunehmen, als sie erkennt, dass ich Magierin bin, als ob alles Alltägliche unterhalb ihres Radars fliegt. Aber die Geister, das ist Realität, sie hat einfach die richtigen Sphären, um sie zu sehen. Halbverbrannte Kinder aus einem Waisenhaus, das hier an dieser Stelle stand, bis ein Feuer es zerstörte. Nun, das ist mir eigentlich ziemlich egal, aber dieser fremde Mann hat doch tatsächlich noch die Stirn, uns einen Zettel überbringen zu lassen mit dem Befehl, uns vom Megastore fern zu halten! Ich kann nicht einfach irgendeinen rumrennen lassen, der mir vielleicht Böses will und mich verraten kann. Wir haben also versucht, seinem missglückten Korrspondenzspruch zum Ursprung zurück zu verfolgen, aber die Signatur zerkrümelte, verrottete wie im Zeitraffer, genau wie der Zettel. Was ist mit dem los? Will er die Geister ausnutzen oder beschützen?

Wie es der Zufall so wollte, ist Cassie ausgerechnet Mitglied der Old Way's Society und wollte dort um Rat fragen. Ich war ja nicht begeistert, ich hatte vor allem keine Lust, alten Bekannten über den Weg zu laufen oder - noch schlimmer! - Jayamuna den Eindruck zu geben, ich käme zurückgekrochen. Aber ich habe wirklich ganz vergessen, was für eine Wohltat das ist, in diese Räume zu kommen und das Leben in diesen Gängen pulsieren zu spüren. Ich glitt so natürlich hinein wie ein Fisch in den Strom - genauso wie ich ganz natürlich in meine Magie hineingeglitten war, obwohl ich sie schon seit langer Zeit nicht mehr angewendet habe. Ein normales Leben führen - pah! Wieso schaffe ich es dann nie, ohne die Tin Whistle in der Tasche aus dem Haus zu gehen, für den Fall, dass irgendetwas passiert? Und wie recht hatte ich, wie diese Autogrammstunde zeigte! Nun, die Gilde-Leute waren natürlich keine große Hilfe, weder Senora Herraira noch Cassies Mentor Fred. Wenn wir etwas getan haben wollten, mussten wir es selbst tun.

Fjuna nahm also im Hof von Virgin Cassie auf einen Spontan-Trip mit in die Geisterwelt - mutig oder dumm, who knows? Ich würde dem Mädel zutrauen, dass sie mittendrin vergisst, was sie eigentlich wollte und dann auf ein paar Jahrhunderte im Kaffeeklatsch mit den Geistern feststeckt. Aber das Stück Holz, das sie aus dem Umbra mitbrachten, half mir zumindest, unseren Gegner zu finden. Hoffentlich hat mich niemand auf der Straße erkannt - es wäre schon sehr seltsam, wenn bekannt würde, dass Amy Rossi Straßenmusik macht. Aber Fjunas Trommeln haben gholfen, gleich in den Gedanken zu verschwinden... Meine Güte, ein Jugendlicher, der noch bei Mama wohnt! Da kann er noch so starke Barrieren errichten, aber als ich ihn da in seiner Goth-Höhle am Computer sitzen sah, konnte ich ihn nicht mehr ganz voll nehmen. Der Verdacht wurde stärker, dass es einfach irgendein Kid ist, das zufällig Kräfte entwickelt hat und seither total zügellos durch die Welt zaubert. Kein Wunder, dass in seinem Umfeld komische Dinge passieren. Wie viel Paradox der wohl aufgesammelt hat? Aber einfach von geplagten Kinder-Geistern die Energie absaugen, dafür gilt die Entschuldigung nicht, dass er die Regeln nicht kennt! Das muss einem das moralische Gewissen sagen, dass das falsch ist. Bevor der Kerl meine Anwesenheit noch bemerkt hat, konnte ich wenigstens erkennen, dass er sich mit anderen Möchtegern-Hexen im Internet verabredet hat, in einem bestimmten Club zu gehen.

Wir drei Miss Marples also in meinen Astra. Fjuna fand das alles klasse und freute sich wie auf nem Kindergeburtstags-Ausflug. Wo kommt die eigentlich her? Kennt keine Computer, will mit Münzen von ihrer Oma den Eintritt ins "Despair" zahlen... Eigentlich wollte ich den "Wilden" vor seinem Haus abfangen, wo es nicht so viele Zeugen gab, aber er ist uns im Taxi entwischt. Zum Glück war der Club, in den er fuhr, nicht so voll, und als seine Begleitung auf die Toilette verschwand, knöpften wir uns den Kerl vor. Fjuna redet mehr von den wütenden Geistern, ich will lieber wissen, warum er mich angegriffen hat - da dreht er durch. Zum Glück ist Fjuna auf die Idee gekommen, ihm Kraft abzuziehen, sonst hätten wir vielleicht nicht so gut ausgesehen. Ich denke spontan nie daran, mit Magie zu kämpfen. Aber dann haben wir es geschafft, ihn zu lähmen, und das ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen - Besoffene gibt es hier genug. Da kommt das Mädel vom Klo zurück und überrascht uns alle mit der Frage: "Wer von euch war das?"

Tja, wenn wir gewusst hätten, dass Amethyst vom Gildehaus schon dem Wilden auf der Spur war, hätten wir uns ja raushalten können. Aber sie war wohl doch nicht ganz unglücklich über unsere Hilfe, ihn zur Society zu schaffen, wobei ihn Cassie im Tiefschlaf hielt, damit sein Paradox nicht mein Auto zerstörte. Es ist eine beunruhigende Vorstellung, dass über das Internet jeder Idiot an echte magische Anleitungen kommen kann... Na ja, ich hoffe, die Sache wird endgültig erledigt sein, wenn der Wilde erst mal vor's Tribunal kommt. Ich mache meine Aussage - und dann will ich bitte wieder meine Ruhe haben vor den Magiern!




Cassie:


Das Mädel mit den weißblonden Haaren hatte ich bisher eigentlich nie so richtig wahrgenommen. Klar, ich wußte, dass sie seit kurzem in der Gärtnerei wohnte und das alte Gewächshaus in Beschlag genommen hatte, aber dass sie auch Geister sehen konnte, war mir neu. Finni, wie ich sie wegen ihres unaussprechlichen Namens bald nannte, wirkte etwas neben der Spur. Wahrscheinlich hatte Dave ihr was zum Kiffen angeboten … oder es lag an den Pilzen, auf denen sie immer mal rumkaute. Erst dachte ich ja, deswegen erzählt sie was von Geistererscheinungen. Aber dann stellten wir fest, dass wir etwas ganz Besonderes gemeinsam hatten. Super! Endlich jemand außer mir hier in der Kommune, der auch zu den Erwachten gehört!
Dann war also mehr dran an diesem Geistermädchen und dem Haus, von dem es Finni erzählte. Der Sache wollten wir auf den Grund gehen. Wir gingen also in die Richtung, in die es von irgend etwas zurückgezogen worden war. Und wo landeten wir? Vor einem dieser riesigen CD-und-Mediashops.
Hä? Hier gab’s Geister?
Natürlich fanden wir erstmal keine. Nur ein paar gelangweilte Kunden und eine Frau, die etwas verloren und genervt an einem Tischchen mit ihren Klassik-CDs und Autogrammkarten saß. In dieser glitzernden HiFiMedienwelt wirkte sie reichlich fehl am Platz. Dann fing Finni wieder an, Geister zu sehen. Hinter der Frau schien sie was zu bemerken, und dann geschah beides zugleich: irgendjemand Fremdes wirkte Magie und die Frau kippte vom Stuhl. Zum Glück hatte sie sich nichts weiter getan.
Und wie es der Zufall – jaaa, ich weiß, es gibt keine Zufälle … - so wollte, stellte sich diese Musikerin – Amy – auch als „eine von uns“ heraus. Gemeinsam wollten wir versuchen, rauszukriegen, wer sie eben angegriffen hat. Aber drinnen und auch draußen vor dem Laden war kein Verdächtiger zu finden. Dann kam so ein Knirps und gab mir einen Zettel, auf dem der ominöse Jemand uns befehlen will, dem Megastore fernzubleiben. Tsss, das wäre ja noch schöner.
Finni zeigte uns den Geist, der hinter der Frau stand – ein ziemlich verbrannt aussehendes Mädchen. Gruselig. Da wir allerdings nicht so recht weiterwußten, statteten wir meinem Mentor Fred einen Besuch im Gildehaus ab. Aus irgendeinem Grund war Amy davon nicht so begeistert … Aber der gute Fred konnte uns auch nicht viel weiterhelfen, ist halt nicht sein Spezialgebiet. Amy bekam von so einer Lady noch den Tip, dass etwas, was unserem speziellen Freund gehört, uns auf seine Spur führen könnte. Aber krieg sowas erstmal in die Finger.

Also zurück zum CD-Shop. Während Amy wieder reinging, um nach Spuren zu suchen, schlichen Finni und ich uns in den Hof. Eigentlich mit der Absicht, durch eine Hintertür oder den Keller ins Haus zu kommen. Aber dann schlug Finni vor, einen Abstecher in die Geisterwelt zu machen. So etwas hatte ich noch nie gemacht, also war ich sofort dabei.
Finni wirkte ihre Magie und das Megastore sah plötzlich arg seltsam aus. Als ob sich zwei Bilder überlagerten – der Neubau und eine abgebrannte Ruine. Wie wir später rauskriegten, ein ehemaliges Waisenhaus. Über eine Feuerleiter stiegen wir nach oben, wo Finni irgendwas spürte. Es war ziemlich leer hier, verbrannt, und außer einem weiteren Geistmädchen niemand zu sehen. Angst hatte ich keine, ich fand es viel zu interessant und neu, hier zu sein.
Das Mädchen erzählte, dass sie und die Geister hier Angst vor jemandem hätten, der immer wieder käme und „Geister wegnimmt“ oder so ähnlich. Und er hätte dabei ein Loch ins Umbra gerissen. Was ich mir überhaupt nicht vorstellen konnte. Aber wir haben es selbst gesehen. Ein Loch ins Nichts und eine eigenartige klebrige Substanz dabei. Ein ganz eigenartiges Gefühl, sich das anzuschauen. Beunruhigend. Kein Wunder, dass die kleinen Geister sich fürchten. Wie macht jemand sowas und vor allem warum? Und was ist in diesem Keller, dass weder die Geister noch unser Freund sich dort hintrauen?
Leider hatten wir für Kellererkundungen gerade keine Zeit. Finni nahm ein Stück Holz aus dem Umbra mit und etwas von dem klebrigen Zeug, um vielleicht unseren ominösen Magier damit in der realen Welt wiederzufinden. Erstaunlicherweise hielt das Hölzchen sogar, bis Amy, die uns für völlig verrückt erklärte wegen unserer Umbrareise, damit jemanden aufspürte. Ach du meine Güte, mit einem Computer-Freak, der kaum älter war als Finni und ich, hatte ich nicht gerechnet. Was hatte der denn mit den Geistern vor? Und wieso ist er auf Amy losgegangen?
Um das rauszukriegen, mußten wir ihm nach in einen Gothic-Club. Ausgerechnet! Die mit ihren schwarzen Klamotten! Wer zieht denn freiwillig sowas an? Aber was tut man nicht alles, um dieser eigenartigen Geschichte auf die Schliche zu kommen.

Amy chauffierte uns in ihrer Nobelkarosse dorthin. Kein Vergleich zu meinem Bus, viel zu wenig bunt! Der Schuppen war auch völlig unbunt. Wie hält man dieses Schwarz nur die ganze Zeit aus, ohne dauerdeprimiert zu werden? Ist ja kein Wunder, dass die Leute auf krude Gedanken kommen.
Tatsächlich – unser Knabe war da und hatte sogar eine Verabredung dabei. Als das Mädchen ihn kurz alleinließ, nahmen wir ihn uns vor. Amy und Finni redeten auf ihn ein, aber er suchte sein Heil lieber in der Flucht. Die endete allerdings gleich draußen vor der Tür. Und das Mädchen, das mit ihm hier war – entpuppte sich als eine von der Gilde, die dem Burschen auch auf der Spur war. Sie ist mir bis jetzt aber noch nie über den Weg gelaufen. Aber für jemanden von den Euthanatos, die ich mir immer eher düster und grimmig vorgestellt habe, war sie ziemlich nett.
Unser Computer-Freak schien keine Ahnung von nix zu haben. Ich hatte schon mal gehört, dass es sowas gibt – dass jemand seine Magie entdeckt und keinen hat, der ihn darin ausbildet und der ihm auf die Finger haut, wenn er Blödsinn damit macht. So jemand hätte dem Jungen mal ganz gut getan. Geistern die Energie aussaugen und fremde Leute angreifen, also ehrlich. Und wer um alles in der Welt lädt Magie-Bücher im Internet hoch?
Wir packten unseren Deliquenten in Amys Auto. Damit er nicht – mit oder ohne Absicht – noch weiteren Unfug produzierte, ließ ich ihn schlafen, bis wir ihn im Gildehaus ablieferten konnten. Ich bin echt neugierig, was er bei diesem Tribunal zu erzählen hat.


PS: Finni ist manchmal echt komisch. Sie kennt kein Internet oder Handy und stellt bei den alltäglichsten Dingen seltsame Fragen. Die wird doch nicht irgendwann mal zu viele von ihren Pilzen zu sich genommen haben?
Aber die Runde Straßenmusik mit Finni und Amy war lustig. Sollten wir öfter machen!



Fionúir:


Es war wieder einer dieser grauen Tage, vom Regen verwaschen und vom Gefühl her genauso öde wie die Tage davor. Nur hin und wieder blitzten Farbkleckse in der Gärtnerei auf, jedesmal wenn einer der Künstler oder Handwerker meinen Weg kreuzte. Bert war in der letzten Zeit auch sehr ruhig geblieben, ich musste mich erst an die neue Welt gewöhnen, und so tat ich das, was ich immer am liebsten tat - Blumen im Gewächshaus sammeln und damit ein paar der Besucher glücklich zu machen. Naja, und etwas Geld zu sammeln, aber das war ein angenehmer Nebeneffekt.

Der verwilderte Garten in dem riesigen Gewächshaus war nicht immer so verwildert gewewesen. Alles war immer schön geordnet gewesen, als Mama noch nach dem Rechten gesehen hatte. Hier die Gurken, da die Radieschen, und dort die Pilze für besondere Gelegenheiten. Gut, hin und wieder brachten ein paar Satyre die Rabatte durcheinander, wilde, haarige Gestalten aus der Clique von meinem blöden Bruder. Ich durfte dann den seinen Dreck wieder heile machen. Komisch, ich kann mich gar nicht mehr an seinen Namen erinnern. Irgendwie ist alles dröge hier, wie ein Schleier, der dumpf meine Gedanken vernebelt. Nur noch Bert ist übriggeblieben, der Beschützer der Gärtnerei, aber auch Bert ist recht still geworden. Ich sammelte also Primeln, die eine oder andere Tulpe und dazu blutrote Weihnachtssterne, und machte mich auf dem Weg durch die Kommune.

Vielleicht sollte ich mal wieder Oma Fuller besuchen gehen, die freut sich immer so über meine Blumen. Also schlenderte ich von Haus zu Haus, beobachtete die Leute, die mehr oder minder geschäftig taten und setzte mich auf die alte, verrostete Bank. Seltsam, früher hatte die Bank immer einen tiefgrünen Anstrich gehabt, mit weißen Klecksen zwischendrin. Jetzt war das Teil nur noch Schrott, aber wenigstens stabil genug, um darauf sitzen zu können.

Ich hatte das Gefühl, dass ich beobachtet werde und schärfte meine Sinne. Da war es, ein kleines Mädchen. Um genau zu sein, der Geist eines kleinen Mädchens. Ich lächelte den Geist an und hielt ihr eine meiner Blumen hin. Und da war noch jemand, den ich vorher gar nicht so richtig wahrgenommen hatte. Cassie heißt sie glaube ich, ist eine Studentin und gehört auch zu der Kommune, die jetzt in der Gärtnerei lebt. Ich wußte gar nicht, das Cassie auch erwacht ist, jedenfalls leuchtete ihre Aura in allen Farben des astralen Spektrums, das Mana war förmlich zu riechen. Eine sehr schöne, frische Empfindung.

Das Geistermädchen hatte sich inzwischen zusammengekrümmt und mit einem schaurigen Gesichtauszug verzogen. Da war etwas ganz und gar nicht in Ordnung. Cassie hatte davon leider nichts mitbekommen. Ich dachte mir, dem Geist musst Du unbedingt helfen und bat Cassie kurzerhand, mitzukommen. Wir zogen also durch die Straßen von London, die ich irgendwie wärmer in Erinnerung hatte. Kalter Stahl und totes Glas. Überall blinkende Lichter. Genauso kalt und banal waren auch die Leute, die grau ihrer Wege zogen und immer in Bewegung waren, ohne sich umzuschauen. Brrr. Die Spur führte zu einem Glaspalast mit einer Treppe, die sich seltsamerweise selbst bewegte. Lustig eigentlich, aber meine Füße froren unter dem blanken Metall. Dagegen war es in der Geisterwelt warm, fast schon heiß. Flammenzungen, brennende Wände. Oben gab es grell betitelte Bücher und kleine Musikplatten in Plastedosen. Und eine nicht mehr ganz so junge, aber hübsche Frau mit schwarzem Haar, die an einem Tisch saß und gelangweilt schien. Sie war erwacht, das zeigte ihre Aura ganz deutlich, auch wenn die Chakren deutlich blasser leuchteten als die von Cassie, eher in diffusen blauen und violetten Tönen. Hinter ihr war das Geistermädchen, jetzt deutlich verängstigt.

Dann passierten wir mehrere Dinge gleichzeitig. Die Frau schreckte hoch, fiel fast vom Stuhl und hinter uns plumpste ein Regal um. Nicht einfach so, sondern durch Magie bewegt. Chaotisches Mana. Wir halfen der Frau, die sich als Amy vorstellte. Eine Musikerin, was natürlich hochinteressant ist. Leider konnte sie mir die Geistergeschichte nicht so richtig glauben, aber dann schaute Amy in meinen Kopf und wurde glaube ich ganz blass um die Nase. Aber sie fing sich recht schnell. Irgendjemand hatten wir wohl aufgeschreckt mit unserer Anwesenheit, und Cassie und Amy wollten der Sache auf den Grund gehen. Mir war das recht, ich wollte den Geistern, die hier leben helfen. Das ganze Haus war voller Geister, hier war wohl einmal einmal ein Heim für Kinder gewesen, das einem Feuer zum Opfer fiel. Darüber wurde dann später dieser Glaspalast gestülpt. Die Mädchen und Jungen wollten aber nicht weiterziehen, sie waren an den Ort gebunden. Ihr Zuhause. Und jetzt hatte so ein komischer Typ mit einer ungesunden Aura für Unruhe gesorgt. Wir mussten dem auf den Grund gehen.

Cassie brachte uns zu ihrem Gildehaus. Das ganze Haus roch nach alter Zeit, aber es war dennoch irgendwie heimelig. Leider konnte dort keiner weiterhelfen, schade eigentlich. Die Magier waren alle nett, ich kannte nur leider keinen davon. Mein alter Mentor war denen auch nicht bekannt, schade. Also ging es zurück zum Glaspalast mit der laufenden Treppe. Neugierig wie ich nun mal bin, wechselte ich kurzerhand in die Geisterwelt, um mir dort ein Bild zu machen. Cassie kam auch mit, das fand ich recht spannend. Sie verkraftete den Übergang ganz gut, was nicht immer der Fall ist. Sie ist zum Glück nicht so banal, das hilft. Das Geistermädchen trafen wir auch wieder und es erzählte uns, dass der muffige Typ ein paar der anderen Geister aufgelöst hatte! Förmlich ausgesaugt. Da war auch so ein richtiger Spalt, ein Riss im Mana. Was für ein böser Zauber war das denn? Ich traute mich nicht, diesen Riss genauer zu untersuchen, aber ich nahm einen der Holzspäne und fuhr damit durch den Spalt, um die Schwingungen des Manas aufzunehmen. Zum Glück war noch etwas von der Aura des Typs hier übriggeblieben. Ach ja, unter dem Haus gibt es auch einen Keller, von dem die Geister schaurig sprachen. Leider hatten wir keine Zeit dafür, aber den Keller werde ich mir auf jeden Fall noch einmal anschauen.

Amy war ziemlich baff, als wir ihr unsere Erlebnisse erzählten. Mit dem Holzspan konnte sie aber etwas anfangen und den Kerl aufspüren. Amy ist darin ganz gut, und sie wirkt mit ihrer Musik Magie! Habe ich schon gesagt, dass Amy wunderbar spielen kann, mit richtig viel Ausdruck? Und sie hat auch nichts dagegen, wenn ich sie mit meiner kleinen Bodrhan begleite. Auf jeden Fall hat sie den schmierigen Typen damit gefunden, der sich ganz in schwarz kleidete und zuhause mit einem Blinkkasten herumspielte. Was für ein Freak!

In einer genauso düsteren, abgefahrenen Kneipe haben wir den Kerl dann abgefasst und ihn zur Rede gestellt. So richtig verstanden hat er uns nicht, aber dafür versuchte er, auszubüxen. Zum Glück war seine Begleitung auch eine Magierin, die es wohl auch auf ihn abgesehen hat, und so konnten wir ihn gemeinsam zur Ruhe bringen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Cassie hat ihn glaube ich schlafengelegt, ein schöner blauer Schwall hat sich über diese Missgeburt von Geisteraussauger gelegt und ihn ins Reich der Träume geschickt. Wir haben ihn bei Cassis Gildehaus abgeliefert und dort wartet er jetzt auf seinen Prozess. Keine Ahnung, was sie jetzt mit ihm machen, das ist mir auch ehrlich gesagt egal. Hauptsache, die Geister können wieder in Ruhe leben.


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